Boyd_William(c) Trevor Leighton

(c) Trevor Leighton

Am vergangenen Mittwoch besuchte ich im Rahmen der lit.COLOGNE eine Lesung mit dem britischen Schriftsteller William Boyd. Boyd gehört schon seit vielen Jahren zu meinen Lieblingsautoren, seine Romane – zum Beispiel „Stars & Bars“, „Die blaue Stunde“ oder „Eines Menschen Herz“ –  habe ich mit großem Vergnügen gelesen.

Boyd stellte bei seinem Besuch des Kölner Literaturfestivals im ehrwürdigen Klaus-von-Bismarck-Saal des WDR sein neues Werk „Die Fotografin“ (Berlin-Verlag) vor. Er las ein paar Seiten aus dem englischen Original dieses Romans, und die Schauspielerin Maria Schrader übernahm die Aufgabe, einige Kapitel aus der deutschen Übersetzung vorzutragen. Dazwischen interviewte Moderator Bernhard Robben den Schriftsteller und stellte ihm Fragen zu seinem neuen Buch, aber auch zu anderen Themen.

 

So arbeitet William Boyd

Dabei kam Interessantes zutage: Dem Beginn des Schreibprozesses eines jeden Romans gehen umfangreiche Recherchen voraus – diese Phase kann bei Boyd bis zu zwei Jahre dauern. Er beginnt mit der Hauptfigur, gibt ihr einen Namen, eine Biographie, eine Persönlichkeit mit Vorlieben und Abneigungen. Ähnlich – wenn auch nicht ganz so ausführlich – verfährt er mit den Nebenfiguren. Dann recherchiert er Orte, macht Skizzen und großformatige Flussdiagramme, Charts und Tabellen, um den Überblick zu behalten, wer mit wem an welchem Ort zu welcher Zeit zusammentrifft. Erst wenn alle Informationen zusammengetragen und wie ein Puzzle zu einem stimmigen Gesamtbild zusammengefügt wurden, beginnt Boyd mit dem eigentlichen Schreiben. In seinem Kopf ist der Roman bereits fertig, er muss dann nur noch zu Papier gebracht werden. „Ich kann mich nicht darauf verlassen, dass mich die Muse jeden Tag mit gleicher Intensität küsst“ begründete Boyd diese Vorgehensweise am Mittwoch in Köln.

 

Und was hat das nun mit dem Verfassen von Werbetexten zu tun?

Auch als Werbetexter kennt man das Problem mit der Muse, die einen nicht jeden Tag küssen mag. Deshalb halte ich es auch hier nicht für sinnvoll, sich einfach mal vor den Computer zu setzen und drauf los zu schreiben, in der Hoffnung, es möge schon etwas Brauchbares dabei rauskommen. Das kann natürlich funktionieren; erfolgversprechender ist es aber, ähnlich wie William Boyd vorzugehen. Und das ist tatsächlich genau das, was ich mache.

 

Die eigentliche Arbeit kommt vor dem Schreiben

Zuerst stelle ich mir die Zielgruppe vor: Was sind das für Leute? Alt oder jung? Mann oder Frau? Welche Bedürfnisse haben sie? Welche Ängste und welchen Leidensdruck? Dann schaue ich mir das zu bewerbende Produkt an und überlege, wie es der Zielgruppe helfen kann. Ich schreibe mir die Produkteigenschaften auf und wandle diese in Vorteile für die Zielgruppe um. Aus den Vorteilen entwickle ich einen USP, einen einzigartigen Produktvorteil, der dann die Basis meines Textes bildet. Dann überlege ich mir Überschriften, Bulletpoints und Proof-Elemente. Und erst wenn ich das alles habe – teils im Kopf, teils in meinem Notizbuch – dann mache ich mich ans Schreiben des Textes. Das ist viel einfacher, denn jetzt muss ich nur noch die vorhandenen Teile zusammenführen.

 

Mit der Boyd-Methode zum Erfolg

Es hat mich gefreut, dass William Boyd seine Arbeitsweise vorgestellt hat, denn damit hat er klar gemacht, dass das Schreiben – und das gilt für Literatur, Sach- und Werbetext gleichermaßen – nicht nur Kreativität, sondern zu einem großen Teil harte Arbeit ist. Außerdem gefällt mir der Gedanke, auf meinen Werbetexter-Workshops zukünftig sagen zu können: „Ich arbeite nach der gleichen Methode wie der renommierte Schriftsteller William Boyd“ – nur dass mir meine Auftraggeber in der Regel keine zwei Jahre Zeit für die Recherche gewähren. Und das unterscheidet uns dann doch, den großen William Boyd und den kleinen Henning Hohmann.